Wir befinden uns im Januar 2022 und nach wie vor ist das Thema Home Office und die Frage, wie und ob wir eine Rückkehr ins Büro gestalten in den Medien omnipräsent.
Mich verwundert das langsam ein wenig, haben wir doch nun alle die letzten zwei Jahre mehr oder weniger Erfahrung mit diesem Thema gesammelt - so „new“ ist das „new normal“ also nicht mehr.
Umso mehr frage ich mich,
warum erscheint uns die Frage nach dem Ort, an dem Arbeit erbracht werden soll, überhaupt als so bahnbrechend relevant?
In diversen Artikeln wird versucht, endlich abschließend zu klären, ob das Home Office nun eigentlich eine Errungenschaft oder eine Notlösung sei. Oft wird der Eindruck vermittelt, dass sich die Mitarbeitenden nun an den Komfort des Home Office gewöhnt hätten und die Unternehmen nun gezwungen seien, ihnen dies auch weiterhin zuzugestehen (war for talents und so…). Auf der anderen Seite gibt es die Berichte über Flächeneffizienz und Desk-Sharing Modelle, die auch aus Unternehmenssicht interessant seien.
Was dabei immer durchklingt: Dieses unbekannte neue Phänomen namens Mobile Work muss doch irgendwie geregelt werden!
Gestern Morgen las ich einen Artikel, diesmal in der WirtschaftsWoche, überschrieben mit dem Titel: „Die Wahrheit über das Home Office in 5 Grafiken“*. Darin wurden die Forschungsergebnisse aus eine 2-jährigen Beobachtung vom Leipziger Studiendekan Hannes Zacher und seinem Team zusammengetragen, die darstellen, wann bereits vor und dann während der Pandemie in welchem Ausmaß zu Hause gearbeitet wurde und wie sich das auf Produktivität, Zufriedenheit, aber auch das Gefühl der Isolation und den Zusammenhalt im Unternehmen ausgewirkt hat.
Am Ende kommt der Artikel zu dem Fazit, dass das Home Office „ein zweischneidiges Schwert sei, ein Wechselbad der Gefühle.“ Dass Home Office sei auch nach zwei Jahren intensiver Forschung ein zu komplexes Thema, um es pauschal als Fluch oder Segen, als Ort der Entfremdung oder Produktivitätswunder abzutun.
Hannes Zacher betrachtet als Arbeits- und Organisationspsychologe natürlich die Auswirkungen, mit denen der Mensch in dieser Situation zu tun hat. Das ist gut und wichtig, denn natürlich ist das mitunter entstandene Leid der Menschen real.
Für Unternehmen, die sich gerade mit der Frage auseinandersetzen, wie sie zukünftig Ihre Arbeit räumlich organisieren, halte ich diese Erhebungen allerdings für wenig hilfreich.
In erster Linie enthalten sie Informationen über den Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Arbeiten von daheim. Aussagekraft für die Art und Weise, wie Arbeit zukünftig gestaltet wird, haben sie daher aus meiner Sicht kaum.
Vielmehr bestätigen sie mich darin, dass wir, zu mindest was den organisationalen Rahmen angeht, die Fragen neu stellen sollten.
Denn wer fragt: "wo SOLLEN Mitarbeiterinnen zukünftig arbeiten?“, nimmt wohl an, dass diese nicht in der Lage seien, selbst Verantwortung dafür zu übernehmen, wo sie Ihre beste Leistung erbringen.
Wer fragt, "wie WOLLEN Mitarbeiter zukünftig arbeiten?", unterliegt womöglich dem Trugschluss, es gehe bei dieser Frage um die Zufriedenheit der Mitarbeiter und begibt sich auf den Pfad der Glücksbewirtschaftung.
Selten lese ich die Frage,
„welche Art der Arbeit wird zukünftig unsere Wertschöpfung sichern? Und wie gestalten wir den Rahmen so, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese möglichst wirksam erbringen können?“
Natürlich, der Reflex ist verständlich: Die Abweichung von der langen gültigen Vorstellung, dass die (Wissens)Arbeit im Büro erbracht würde (ausgenommen Außendienst und Management natürlich), löst in den meisten Unternehmen ein Gefühl von Kontrollverlust und damit einhergehend den Wunsch nach einer klaren Regelung aus. Dieses Phänomen beobachten man übrigens sowohl im Management als auch bei den Mitarbeitenden – es gibt eine Erwartungshaltung, die Entscheiderinnen mögen diese Sache doch bitte im Griff haben.
Also werden Umfragen erhoben, rund um die Frage, ob das Arbeiten von zu Hause denn nun eigentlich gut oder schlecht, gewünscht oder ungewünscht sein. Der Versuch, eine eindeutige und fundierte Begründung dafür zu haben, warum man sich für eine kollektive Rückkehr ins Büro entschließt, dagegen oder für eine hybride Lösung.
Aber was kann man aus den Ergebnissen schließen? Fragt man, was die Mitarbeitenden wollen, wird immer nur ein Querschnitt aus vielen individuellen Meinungen zusammenkommen – unmöglich hier eine Lösung zu finden, die allen entspricht. Menschen in Unternehmen sind unterschiedlich. Sie haben unterschiedliche Bedürfnisse nach Kontakt, Führung, Fürsorge oder Selbstbestimmung.
Aber sie haben eine Gemeinsamkeit: sie wollen die Arbeit, für die sie angetreten sind, möglichst sinnvoll erbringen können. Und hier liegt die Chance, dass Organisationen doch noch etwas für das Wohlbefinden all ihrer Mitglieder im gleichen Maße tun können:
Die Frage lautet dann plötzlich: inwieweit hat der Arbeitsort einen positiven, einen negativen oder vielleicht gar keinen relevanten Einfluss auf unsere Wertschöpfung?
Viele Unternehmen berichten, und das wird auch in der Forschungsarbeit von Zacher deutlich, dass der Kontakt unter den Mitarbeitenden oder zu den Führungskräften gelitten hat. Hier ist mein Vorschlag, statt generelle Abfragen zu generieren, konkreter zu schauen wo, in welchem Team, bei welchen Aufgaben, in welchem Zusammenhang weniger Kontakt stattgefunden hat und warum das problematisch ist?
Ist es ein Problem, weil bestimmte Teile der Wertschöpfung nicht im gleichen Maße bearbeitete werden konnten wie vorher? Wo und wann hat der Austausch dann vorher stattgefunden?
Ist es ein Problem, weil die Mitarbeitenden sich weniger wahrgenommen fühlen und dadurch weniger Chance auf Aufstieg haben? Wie war das dann vorher mit stilleren Mitarbeitern?
Ich teile die Auffassung von Zacher, dass das Thema Homeoffice zu komplex für „Fluch oder Segen“-Aussagen ist. Daher denke ich, dass Umfragen und darauf aufbauende Lösungsansätze hier den Unternehmen nicht viel weiterhelfen.
Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass man die Organisationsschmerzen, die durch die Home-Office Pflicht in vielen Unternehmen aufgetaucht sind, ernst nehmen sollte und als Chance betrachtet, mehr Informationen über vorherrschende Strukturen und die Unternehmenskultur zu erfahren.
Wenn Sie sich also gerade damit beschäftigen, wo Sie in Ihrer Firma zukünftig arbeiten wollen, fragen sie sich doch zunächst mal: welches Problem wollen wir eigentlich lösen, wenn wir eine Regelung für Arbeitsort und in dem Zusammenhang häufig auch von Arbeitszeit finden wollen? Das könnte spannend werden!
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